Ende 1997; Überarbeitung 31. März 1999
„Die Walküre“ ist der erste Tag des „Ring des Nibelungen“ nach dem Vorabend „Das Rheingold“. Sie ist zugleich die erste große Tragödie des „Rings“, der zudem aus den Musikdramen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ besteht, die sich an die „Walküre“ anschließen. Die Handlung spielt in mythischer Vorzeit und basiert auf Motiven aus der germanischen Sagenwelt. Ursprünglich sollte dieses Stück „Siegmund und Sieglinde - Der Walküre Bestrafung“ heißen, doch Wagner verschob den Schwerpunkt später.
Nachdem am Vorabend im „Rheingold“ die Grundlagen des „Ring“-Dramas gelegt wurden, beginnt in der „Walküre“ ein neuer Handlungsabschnitt. Seit dem „Rheingold“ ist eine undefinierbare Zeitspanne verstrichen.
Das „Rheingold“ handelte davon, wie das Böse in Form eines Ringes, der grenzenlose Macht verleiht, in die Welt gekommen ist. Der Ring bedeutet in vielerlei Hinsicht das Böse: Zum einen versucht jeder, der um seine Existenz weiß, ihn in seine Gewalt zu bringen und die Welt zu beherrschen. Zum anderen ist der Ring verflucht, er bringt seinem Besitzer neben Macht auch den Tod. Für Wotan, den obersten der Götter, bedeutet der Ring, daß er jeden, den er liebt, bestrafen muß, wie sich in der „Walküre“ herausstellen wird. Wotan ist bestrebt, seine alte Weltordnung zu bewahren. Dazu muß der Ring den Rheintöchtern zurückgegeben werden, die ihn als einzige auflösen können.
Traten im „Rheingold“ ausschließlich Fabelwesen auf, so erzählt die „Walküre“ auch von Menschen, insbesondere vom Schicksal Siegmunds, den Wotan auserkoren hat, die Welt vom Ring zu befreien - eine Tat, die Wotan selbst unmöglich ist, da er den Ring aufgrund eines Vertrages an Fafner als Lohn zahlen mußte, der ihn nun bewacht. Wotan ist sich bewußt, daß er seine auf Verträgen basierende Weltordnung nicht durch Vertragsbruch (also Raub des Rings von Fafner) wiederherstellen kann. In der Zeit zwischen dem „Rheingold“ und der „Walküre“ traf er daher wohl überlegte Maßnahmen, durch die er langfristig bewirken will, daß die Rheintöchter den Ring zurückbekommen und dann auflösen sollen:
Wotan, der am Ende des
„Rheingoldes“ erschüttert der düsteren Prophezeiung der Erda vom
drohenden Untergang zugehört hatte, suchte diese auf, um mehr über das
Schicksal der Welt zu erfahren. Dabei gebar ihm Erda eine Tochter namens
Brünnhilde - eine Walküre.
Walküren sind der germanischen
Vorstellungswelt entnommene weibliche Figuren, Kämpferinnen, die von Wotan
ausgeschickt werden, um im Kampf gefallene Helden nach Walhall zu geleiten.
Sie reiten auf Rössern durch die Lüfte und rekrutieren so eine
Heldenarmee. Bei Wagner dient diese zur Verteidigung Walhalls für den
Fall, daß Alberich den Ring wiedererlangt und mit den Nibelungen Walhall
angreifen will.
Wotan zeugte außerdem, während er unter dem Namen „Wälse“ unerkannt auf der Erde weilte, mit einer Menschenfrau ein neues Geschlecht, das der Wälsungen, bestehend aus dem Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. Als kleine Kinder wurden die Zwillinge getrennt, weil Sieglinde von den „Neidingen“ (einem verfeindeten Geschlecht) entführt wurde. Wälse floh vor den Neidingen mit Siegmund in einen Wald, wo Siegmund zu einem Helden heranwuchs, von Wälse dazu erzogen. Er prophezeite Siegmund, er werde einst in größter Not ein Heldenschwert finden. Von den Neidingen gejagt, wurden Siegmund und Wälse getrennt. Siegmund konnte seinen Vater daraufhin nicht wiederfinden.
Sieglinde, unterdessen aufgewachsen, wurde - ohne ihr Einverständnis - mit Hunding, einem Befreundeten der Neidinge, verheiratet. Bei der Hochzeit trat eine unheimliche Gestalt als „Wanderer“ in Hundings Hütte, die um eine Esche als Mittelpunkt herum gebaut ist, und vor versammelten Gästen stieß dieser Wanderer ein Schwert in den Eschenstamm und weissagte, nur der stärkste Held könne das Schwert wieder aus dem Stamm herausziehen. Die Gäste probierten sich an dieser Herausforderung, doch keiner bestand sie. Der Wanderer war niemand anders als Wotan selbst.
Diese Konstellation ist Ausgangspunkt der Handlung der „Walküre“. Das kurze, energische Orchestervorspiel versetzt den Zuhörer mitten ins Geschehen. Es schildert eine Hatz der Neidinge auf Siegmund. Die hektisch erregte Musik und das Gewitterzauber-Motiv (im „Rheingold“ erklang es zu den Worten Donners „He da, he da, he do“) schildern die Umstände der Flucht. Beim Hochgehen des Vorhangs sieht sich der Zuschauer in Hundings Hütte versetzt.
Erschöpft und waffenlos betritt Siegmund, der auf der Flucht die Orientierung verloren hat, die Hütte und will kurze Zeit ausruhen. Sieglinde - mit Hunding verheiratet - ist zunächst allein zuhause. Sie nimmt sich Siegmunds an, nicht wissend, wer er ist. Das Orchester spielt währenddessen mit den Motiven von Siegmund und Sieglinde. Sieglinde gibt Siegmund etwas zu Trinken und dabei entsteht aus dem Sieglinde-Motiv das zarte Liebes-Motiv. Siegmund will das Haus wieder verlassen, um Sieglinde kein Unheil zu bringen. Sie, die sich intuitiv von ihm angezogen fühlt, hält ihn davon ab mit den Worten:
So bleibe hier!
Nicht bringst du Unheil dahin,
wo Unheil im Hause wohnt!
ihre unglückliche Ehe mit Hunding andeutend. Dazu erklingt das sogenannte Wälsungenleid-Motiv.
Vorbereitet durch das Erklingen des Hunding-Motivs im Orchester, einer
wuchtigen, schwerblütigen Tonfolge, die an das Riesen-Motiv erinnert,
betritt Hunding das Haus. Siegmund und Sieglinde bleibt daher keine Zeit,
sich miteinander vertraut zu machen. Erstaunt über Siegmunds Anwesenheit
sichert Hunding Siegmund nach anfänglichem Zögern zu, bei ihm
übernachten zu dürfen. Beim anschließenden Abendessen erzählt Siegmund,
der sich „Wehwalt“ nennt, von seiner Herkunft und vom Grund seiner
Flucht. Mit großem Interesse und Mitgefühl folgt Sieglinde seiner
Schilderung. Als Siegmund davon erzählt, wie er seinen Vater verloren hat,
erklingt im Orchester schwer und bedeutend das Walhall-Motiv.
Im Verlauf
der Erzählung stellt sich heraus, daß Hunding einer von Siegmunds
Verfolgern ist. Da Hunding Siegmund schon ein Bleiberecht für eine Nacht
zugesichert hat, kann er sein Wort nicht zurücknehmen, er fordert den
Waffenlosen aber für den nächsten Morgen zum Kampf.
Hunding befiehlt
Sieglinde, zu Bett zu gehen und folgt ihr nach kurzer Zeit - nachdem er
seine Waffen mitgenommen und die Schlafzimmertüre verriegelt hat.
Siegmund
ist nun alleine im Wohnraum der Hütte Hundings, er denkt an Sieglinde und
das ihm von seinem Vater verheißene Schwert, das er jetzt gut gebrauchen
könnte. Sein Auge fällt auf den Eschenstamm mitten im Raum, das
Schwert-Motiv erklingt stahlhell, doch Siegmund erkennt das im Stamm
steckende Schwert nicht.
Nach einer Weile betritt Sieglinde wieder den
Raum. Sie hat Hunding einen Schlaftrank verabreicht, da sie mit Siegmund
alleine sprechen will. Sie erzählt Siegmund von dem Schwert, das im
Eschenstamm in der Mitte des Raumes steckt, unterlegt von den hellen
Klängen des Schwert-Motivs im Orchester.
Ihrer beider beginnende Liebe
wird versinnbildlicht durch das Aufspringen der Eingangstüre. Der Sturm
draußen hat sich gelegt und es eröffnet sich so dem Blick eine vom Mond
beschienene frühlingshafte Natur. Diese Stelle ist begleitet von einer
phantastisch schönen, lyrischen Musik: „Winterstürme wichen dem
Wonnemond“. Diese Stelle kann man als eine Arie ansehen, ein Überbleibsel
der alten Opernform.
Siegmund gibt Auskunft über seine Abstammung, diesmal
nennt er aber den Namen seines Vaters: Wälse. Den beiden Liebenden wird
allmählich klar, daß sie Geschwister sind.
Die beiden steigern sich immer
weiter in einen Rausch von Wiedervereinigung und Liebe, auf dessen
Höhepunkt Siegmund das Schwert - dem er den Namen „Notung“ gibt - aus
dem Stamm zieht. Dazu ertönt heroisch getragen im Orchester das
Schwert-Motiv. Es folgt, in Wagners Worten, die er Siegmund in den Mund
legt:
Braut und Schwester bist du dem Bruder,
so blühe denn, Wälsungen-Blut!
(Über den Grund für das schnelle Fallen des Vorhangs, wie es Wagner hier vorschreibt, ist schon viel vermutet worden.)
Mit einer
Variante des Schwertmotivs eröffnet das Vorspiel des zweiten Aufzuges.
Erstmals machen die tief schmetternden Blechbläser den Zuschauer mit dem
Ritt-Motiv bekannt, das sicher das bekannteste Motiv des „Rings“
überhaupt ist. (Es ist das dominierende Motiv im später folgenden
Walkürenritt, einem sehr bekannten Musikstück.) Ebenso kann der Zuschauer
erstmals die Titelfigur dieses Tages sehen: Brünnhilde, die mit dem
Walkürenruf-Motiv auftritt („Hojotoho“). Die Handlung versetzt den
Zuschauer in die Sphäre der Götter, es ist noch dieselbe Nacht wie im
ersten Aufzug.
Auf der Bühne befinden sich Wotan und Brünnhilde, die
Walküre. Wotan befiehlt Brünnhilde, im Kampf Siegmunds gegen Hunding, der
am nächsten Morgen stattfinden wird, Siegmund zum Sieg zu verhelfen.
Kurz
darauf kommt Fricka wütend zu Wotan. Sie, Wotans Gattin und unter anderem
Göttin der Ehe, ist empört über den Ehebruch und den Inzest, den
Siegmund und Sieglinde begangen haben. Sie fordert daher von Wotan,
Siegmund zur Strafe von Hunding töten zu lassen. Wotan sieht die
Angelegenheit gelassener, er will Siegmund beschützen. Er hält eine Ehe,
die Unliebende verbindet, für nichtig. Weiter argumentiert er, Siegmund
sei wichtig für die Götter, so sagt er zu Fricka:
Eines höre! Not tut ein Held,
der, ledig göttlichen Schutzes,
sich löse vom Göttergesetz.
So nur taugt er zu wirken die Tat,
die, wie not sie den Göttern,
dem Gott doch zu wirken verwehrt.
Wotan benötigt einen Helden, der den Ring von
Fafner erringt und den Rheintöchtern zurückgibt. Er kann dies nicht
selbst machen, ohne bestehende Verträge zu brechen.
Fricka allerdings
durchschaut Wotans Selbstbetrug. Sie weist ihn darauf hin, daß Siegmund
kein freier Held ist, der unabhängig von den Göttern handelt, da er zum
einen von Wotan (als Wälse) zu dessen Zwecken erzogen worden ist, und da
er zum anderen durch Wotans Planung das Helden-Schwert Notung bekommen hat.
Zerknirscht muß sich Wotan eingestehen, daß seine Gattin Recht hat:
Siegmund ist moralisch genausowenig in der Lage, den Ring von Fafner zu
erlangen, wie Wotan selbst, denn Siegmund ist Wotans Produkt, nur eine
Marionette seines Willens.
Wotan sichert Fricka zu, Siegmund im Kampf
fallen zu lassen. Daraufhin geht Fricka ab und Brünnhilde betritt wieder
die Szene.
Brünnhilde findet Wotan in sehr trauriger Stimmung vor. Da er ihr vertraut, weiht er sie in die tieferen Zusammenhänge des Welten-Schicksals ein. Der daraus entstehende Monolog hat den Charakter eines In-Sich-Gehens Wotans, er gibt Brünnhilde seine innersten Gedankengänge preis. Dabei wird ihm seine totale Machtlosigkeit (durch seine eigenen Verträge, die er nicht brechen darf) und seine Verstrickung in Schuld (resultierend aus seiner Machtbesessenheit im „Rheingold“) bewußt und er ändert so seine Einstellung zum Untergang seiner Weltordnung. Wollte er ihn bisher abwenden (indem er zum Beispiel mit Hilfe der Walküren die Helden in Walhall sammelte), so sehnt er sich jetzt danach:
Ich berührte Alberichs Ring,
gierig hielt ich das Gold!
Der Fluch, den ich floh, nicht flieht er nun mich:
Was ich liebe, muß ich verlassen,
morden, wen je ich minne,
trügend verraten, wer mir traut!
...
Zusammenbreche, was ich gebaut!
Auf geb' ich mein Werk; nur eines will ich noch:
das Ende, das Ende!
Diese Worte sprechen die ganze Tragik aus, der Wotan unterworfen ist. So widerruft er seinen vorherigen Befehl und weist Brünnhilde an, Siegmund im Kampf zu töten und nach Walhall zu geleiten. Die Walküre ist erschüttert, sie vermutet Fremdbestimmung durch Fricka und bittet Wotan, Siegmund schützen zu dürfen. Wotan wird zornig, meint sich unverstanden. Mit Nachdruck befiehlt er ihr nochmals:
Siegmund falle!
Dies sei der Walküre Werk!
und stürmt fort.
Die anschließende
Szene zeigt dem Zuschauer das Liebespaar Siegmund und Sieglinde auf der
Flucht vor Hundings Scharen. Sieglinde macht sich schwere Selbstvorwürfe
wegen des Ehebruchs, den sie begangen hat. Obendrein steigert sie sich in
die Angstvision hinein, daß Siegmund von Hunding erschlagen werde. Von
diesen starken Gefühlen bewegt, fällt sie schließlich in Ohnmacht.
An
dieser Stelle tritt Brünnhilde - die Walküre - zu Siegmund, um ihm seinen
bevorstehenden Tod zu verkünden, ganz nach dem Befehle Wotans. An dieser
Stelle erscheint das Schicksals-Motiv düster in der Musik, wie es noch oft
im „Ring“ anläßlich einer tragischen Bewandtnis erklingen wird.
Brünnhilde erzählt Siegmund von Walhall, für das er auserkoren sei (was
die größte Ehre für einen Menschen ist). Siegmund jedoch fragt, ob ihm
Sieglinde dorthin folgen wird, was Brünnhilde verneint. Daraufhin weist er
all die Freuden Walhalls zurück und droht, lieber bringe er Sieglinde und
sich selbst um, als daß er ohne Sieglinde nach Walhall gehe. Die Walküre
ist erschüttert von so viel Liebe. Als schließlich Siegmund sein Schwert
zieht und auf die ohnmächtige Sieglinde richtet und droht, sie und sich
umzubringen, damit sie nur vereint sterben könnten, erweicht Brünnhilde:
Sie verspricht Siegmund, ihn zu beschützen im Kampf gegen Hunding.
Nachdem
die Walküre in einer Seitenschlucht verschwunden ist, erwacht Sieglinde
aus ihrer Ohnmacht. Hunding hat inzwischen Siegmund eingeholt und es kommt
zwischen beiden zum Kampf. Brünnhilde erscheint schwebend über Siegmund,
um ihn mit ihrem Schild zu decken. Als Siegmund zum entscheidenden Hieb
gegen Hunding ausholt, erscheint Wotan schwebend über Hunding und hält
Siegmund seinen Speer entgegen. Siegmunds Schwert, Notung, zerbricht an
Wotans Speer. Waffenlos wird Siegmund von Hunding getötet. Von Wotans
Eingreifen in den Kampf erschrocken, flieht Brünnhilde zu der Stelle, wo
sich Sieglinde aufhält, um wenigstens sie zu retten. Wotan folgt ihr nicht
sofort, sondern ist in den schmerzlichen Anblick der Leiche Siegmunds
versunken. Innerlich zerrissen - er hat seinen geliebten Sohn im Stich
lassen müssen - trägt er Hunding auf, er solle Fricka melden, daß der
Ehebruch gerächt sei, und auf einen verächtlichen Wink Wotans hin sinkt
Hunding tot zu Boden.
Nun erst beginnt Wotan die Verfolgung der fliehenden
Brünnhilde, die seinem Befehl zuwidergehandelt hat. In dieser dramatischen
Situation beendet Wagner den zweiten Aufzug und entläßt den
erwartungsvollen Zuschauer in die Pause.
Die Erwartungen des aus der Pause zurückkehrenden Zuschauers sollen nicht
enttäuscht werden; das nun folgende grandiose Vorspiel zum dritten Aufzug
ist das wohl bekannteste des ganzen „Rings“: Der Walkürenritt.
Der
Zuschauer sieht, wie sich der weite Himmel öffnet und die kriegerischen
Walküren mit den von ihnen auserkorenen Helden hoch zu Roß über das
Himmelszelt reiten, die Wolken durchbrechen, um sich auf einem hochragenden Felsen,
dem Walkürenfelsen, zu versammeln. Der Versuch, die dazu ertönende gewaltige
Musik zu beschreiben, ist wegen ihrer berüchtigten Bekanntheit unnötig.
Als sich alle acht Walküren versammelt haben, fehlt nur noch die neunte:
Brünnhilde. Sie trifft schließlich ebenfalls ein, mit Sieglinde auf dem
Pferd. Sie erklärt ihren Schwestern kurz die Situation, daß sie Wotans
Befehl mißachtete und nun von ihm verfolgt wird. Brünnhildes Absicht ist
vor allem, Sieglinde zu retten, doch diese will sterben - jetzt, da
Siegmund gefallen ist. Um Sieglinde zu ermutigen, verkündet ihr
Brünnhilde, daß sie ein Kind von Siegmund erwarte. Sofort gibt Sieglinde
ihren Todeswunsch auf und fleht Brünnhilde um Rettung an. Brünnhilde rät
Sieglinde, in einen nahen Wald zu fliehen, in dem Fafner in Drachengestalt
liegt und den Hort hütet, da selbst Wotan diesen Ort meide. Brünnhilde
selbst will sich Wotan stellen, auch um Sieglinde Zeit zur Flucht zu
verschaffen.
Zu den Klängen des erhabenen Siegfried-Heldenmotivs, das an
dieser Stelle eingeführt wird, verabschiedet sich Brünnhilde von
Sieglinde:
Den hehrsten Helden der Welt
hegst du, o Weib, im schirmenden Schoß!
und überreicht Sieglinde die Bruchstücke des Schwertes Notung, die sie am Kampfplatz schnell aufgerafft hatte, heißt sie außerdem, ihren Sohn „Siegfried“ zu nennen. Sieglinde antwortet, bevor sie flüchtet, mit einem berauschend schönen Motiv, das nur an dieser einen, einzigen Stelle erklingt, bis es ganz am Ende der Götterdämmerung erlösend wieder erscheinen wird:
O hehrstes Wunder! Herrlichste Maid!
(Dieses Motiv hat von der Wagner-Forschung den Namen „Liebes-/Erlösungs-Motiv“ bekommen.)
Brünnhildes Verfolger, Wotan, erreicht in höchstem Zorn den
Walkürenfelsen. Er stellt Brünnhilde zur Rede und verkündet die Strafe
für ihren Ungehorsam: Er hat vor, ihr ihre Göttlichkeit zu nehmen und sie
an Ort und Stelle in tiefen Schlaf fallen zu lassen. Sie soll die Frau
desjenigen werden, der des Weges kommt und sie aufweckt. Die für
Brünnhilde bittenden anderen Walküren schreckt er ab, indem er ihnen das
gleiche Schicksal androht, wenn sie sich ihm widersetzen sollten. Daraufhin
verlassen die Walküren den Ort, so daß Brünnhilde mit Wotan alleine ist.
Sie fragt ihn, was sie so Schreckliches verbrochen habe, daß er sie so
strafe. Wotan setzt ihr ihre Schuld auseinander: Sie war es, der er
vertraute, indem er sie einweihte in seine innersten Gedanken. Daß sie
seinem Befehl nicht gehorcht hat, wertet Wotan als Verrat. Doch auch
Brünnhilde erklärt ihm ihre Motivation: Sie mußte persönlich Siegmund
den Tod verkünden und sah das Elend, das sie dadurch schuf, wobei sie
genau wußte, daß Wotan seinen Sohn Siegmund von ganzem Herzen liebte.
Daher versuchte sie, ihn zu retten. Wotan wird daraufhin weicher.
Brünnhilde bittet darum, daß sie kein Wertloser zur Frau gewinne.
Andeutungsweise erzählt sie Wotan von der Schwangerschaft Sieglindes.
Wotan will davon nichts wissen - er darf davon nichts wissen. Er gibt
jedoch dem Wunsch Brünnhildes nach und verspricht ihr, einen Feuerkranz
(die Waberlohe) um den Walkürenfelsen, auf dem sie schlafen wird, zu
legen, damit nur ein mutiger Held die Möglichkeit hat, sie zu erwecken und
zur Frau zu bekommen. Innerlich hat Wotan im Verlauf des Gesprächs
Brünnhilde verziehen. Traurig nehmen sie voneinander Abschied. Neben
Siegmund verliert Wotan nun auch Brünnhilde.
Wotan küßt Brünnhilde auf
die Augen, wodurch diese in Schlaf versinkt. Er kann sich lange nicht von
ihrem Anblick lösen. Es ist unglaublich, wie hier die komplexe Problematik
- Wotans Abschiedsschmerz, seine Zuneigung zu Brünnhilde, sein tragisches
Schicksal, auf jeden, den er liebt, verzichten zu müssen - durch die Musik
ausgedrückt wird, direkt greifbar für den Zuhörer.
Die Musik, die
während des Folgenden erklingt, ist unter dem Namen „Feuerzauber“
bekannt geworden. Es ist eine phantastische Mixtur aus dem verträumten
Schlaf-Motiv Brünnhildes, dem bedrohlichen Waberlohe-Motiv und einem
züngelnden, flackernden Thema, dem des Feuerzaubers nämlich.
Nachdem
Wotan sich schließlich von Brünnhildes Anblick losgerissen hat, wendet er
sich einem großen Felsen zu und beginnt, Loge heraufzubeschwören. Dieser
kommt in Form eines Feuerstrahles, der mächtig anschwillt und sich in
einem Ring um den Walkürenfelsen legt. Wotans Abschiedsworte lauten:
Wer meines Speeres Spitze fürchtet,
durchschreite das Feuer nie!
Zu diesen Worten ertönt im Blech deutlich das Siegfried-Helden-Motiv, zum einen andeutend, daß es Siegfried sein wird, der Brünnhilde erweckt, zum anderen, daß Siegfried der freie Held sein wird, der Wotans Speer (Symbol für Wotans - wie sich gezeigt hat, langsam untergehende - Weltordnung) nicht fürchtet.
Der Zuschauer verliert Wotan im immer stärker sich ausbreitenden Flammenmeer aus dem Blick. Der erste Tag dieser Kosmogonie ist abgeschlossen.