Zur Einstimmung in Richard Wagners
„Siegfried“

Dirk Meyer

Ende 1997

Die Vorgeschichte

Dieser zweite Tag des großen Dramas „Der Ring des Nibelungen“ ist, verglichen mit den ihn umrahmenden Tragödien der „Walküre“ und der „Götterdämmerung“, das reinste Idyll. Ursprünglich betitelt als „Der junge Siegfried“ schildert dieses Musikdrama Siegfrieds „Sturm und Drang“-Zeit, wie sie aus der germanischen Sagenwelt bekannt ist, beginnend mit dem Schmieden seines Schwertes, dem Töten des Drachens bis zum Durchschreiten der Waberlohe und der Erweckung Brünnhildes. Keine Motive, die einem Kenner der „Wälsungen-Sage“ unbekannt wären, und doch sind sie von Wagner in einen vollständig neuen Kontext gestellt. Siegfried selbst hat keine Ahnung von den großen Zusammenhängen, die das Schicksal der Welt bestimmen. Er weiß nichts von dem Ring, der Macht über die Welt verheißt, und den jetzt Fafner - der Drache - hütet, er weiß nicht, daß Wotan seine ganze Hoffnung auf ihn setzt, die Welt jemals vom Ring zu erlösen. Er weiß auch nichts von seiner Herkunft. Seine Abstammung ist allerdings ein Punkt der Vorgeschichte, dessen Kenntnis für den Zuschauer von Nutzen sein könnte: Siegfrieds Eltern sind Siegmund und Sieglinde. Vor Siegfrieds Geburt wurde Siegmund im Kampf getötet, weil sein Schwert „Notung“ an Wotans Speer zerbrochen war, so daß sich Siegmund nicht verteidigen konnte. Sieglinde - schwanger mit Siegfried - floh in den Wald, in dem Fafner den Hort hütet. Bei sich hatte sie die Bruchstücke Notungs.

Der Schmied Mime, ein in den Lauf der Vorsehung eingeweihter Zwerg, den der Zuschauer noch aus dem „Rheingold“ kennt, wußte um die Macht des Ringes und außerdem, daß es nur Siegfried - Sieglindes Sohn - bestimmt sein würde, den Drachen zu töten.
Er hatte sich mit seiner Schmiede in Fafners Wald angesiedelt, um nahe am Geschehen zu sein und seine Chance zu wahren, den Ring zu erlangen, falls Fafner getötet würde. Er fand Sieglinde in diesem Wald und faßte sofort den Plan, sich Siegfrieds zu bedienen, um den Drachen zu besiegen und damit den Ring für sich zu gewinnen. Er stahl von Sieglinde die Bruchstücke Notungs, da er wußte, daß nur Notung - neugeschmiedet - in der Lage sein würde, Fafner zu verwunden.
Sieglinde starb bei der Geburt Siegfrieds und Mime zog Siegfried bei sich auf.

Der erste Aufzug

Das Vorspiel versetzt den Zuschauer geistig in die Sphäre des Fafner'schen Waldes. Es ist dort nicht ganz geheuer wegen des Drachens, nicht einmal Wotan wagt sich dorthin. Unheimlich grummelt daher die Musik, das Drachen-Motiv läßt sich erahnen. So eingestimmt, wird die Schmiede Mimes in unserer Vorstellung heraufbeschworen: Der Zuhörer hört das Schmiede-Motiv. Dieses steigert sich und mischt sich mit dem Drachen-Motiv, das sich immer mehr in den Vordergrund drängt und in einem Höhepunkt kulminiert, bis schließlich das Schwert-Motiv im Zusammenhang mit dem Schmiede-Motiv ertönt.
Doch irgendwie paßt etwas nicht, das Schmiede-Motiv bricht immer wieder ab, es klingt nach jedem Abbruch zorniger und lauter.
Die Erklärung zeigt sich, da nun der Vorhang aufgeht und den Blick freigibt auf die Szene: Mime steht in der Schmiede und versucht, ein Schwert für Siegfried zu schmieden. Er weiß, daß es nicht fest genug für Siegfried sein wird, er weiß, daß nur Notung diesen Anspruch erfüllen kann, jedoch weiß er nicht, wie er Notung aus den Bruchstücken wieder zusammenfügen soll.

Ein Stimmungsumschwung in der Musik deutet mit „Siegfrieds Hornruf“ (einem weiteren Leitmotiv) an, daß Siegfried vom Umherschweifen im Walde nach Hause kommt. Siegfried fordert sein Schwert, nimmt es in die Hand und zerschlägt es einen Moment später auf dem Amboß. Er beklagt sich bei Mime, daß er immer nur von heldenhaften Kämpfen und kühnen Taten redete, nicht aber fähig wäre, ihm ein stabiles Schwert herzustellen.
Mime meint, anstatt ihn zu schmähen, müsse Siegfried dankbar sein. Er erinnert Siegfried an die Wohltaten, die er ihm erwiesen hat: Zu einer sanft umschmeichelnden Melodie schildert er, wie er Siegfried aufzog. Schluchzend beschreibt er, wie er sich ständig abmühte, um Siegfried alles möglichst bequem zu schaffen, wie zum Beispiel, daß er das Horn, das Siegfried immer bei sich trägt, für ihn geschmiedet hat. Als Siegfried ihm in die Augen sieht, weicht Mime scheu aus.

Siegfried seinerseits erwidert, Mimes Wohltaten ekelten ihn an. Instinktiv durchschaut er, daß Mime ihn nicht wirklich liebt und ihn nur benutzen will. Er schildert, wie unsympathisch Mime ihm ist:

Seh' ich dir erst mit den Augen zu,
zu übel erkenn' ich, was alles du tust:
seh' ich dich stehn, gangeln und gehn,
knicken und nicken, mit den Augen zwicken:
beim Genick möcht ich den Nicker packen,
den Garaus geben dem garst'gen Zwicker!

(Hier benutzt Wagner übrigens den Endreim dazu, den Zwerg zu parodieren - was letzteres man erkennt, hört man die Musik.)

Siegfried will wissen, wer sein Vater und seine Mutter ist. Mime ist diese Frage höchst unangenehm, denn er muß befürchten, daß er Siegfried nicht mehr unter Kontrolle hat, wenn er zugibt, nicht sein Vater zu sein. Daher weicht er Siegfried aus und versucht ihm weiszumachen, er sei ihm Vater und Mutter zugleich. Siegfried verliert schließlich die Geduld und packt ihn an der Kehle. Da gibt Mime nach und erzählt, wie er Sieglinde im Wald fand, nicht ohne dabei seine eigene Person in das beste Licht zu stellen. Als die Sprache auf Siegfrieds Vater kommt, sperrt sich Mime abermals und behauptet, er wisse nicht einmal seinen Namen.

Siegfried mißtraut Mimes Erzählung und will Beweise sehen. Deshalb zeigt ihm Mime die Stücke des Schwertes Notung und erzählt, daß es das Schwert seines Vaters gewesen ist, das in dessen letztem Kampf zerbrach. Siegfried ist sofort Feuer und Flamme: Er erkennt den Wert des Schwertes, weist Mime an, es zu reparieren, weil er noch heute damit fort in die weite Welt ziehen will, nachdem ihn jetzt, da er weiß, daß Mime nicht sein Vater ist, bei ihm nichts mehr hält. Als Siegfried in den Wald zurückgegangen ist, verzweifelt Mime. Er weiß weder, wie er das Schwert schmieden kann, noch, wie er Siegfried weiterhin an sich binden und zu Fafner führen kann.

In dieser Situation tritt Wotan als Wanderer auf. Ein edles, erhabenes Motiv begleitet seinen Auftritt. Im Folgenden ist beachtenswert, wie deutlich sich der Kontrast zwischen dem Charakter Mimes und dem des Wanderers in der Musik ausdrückt.

Der Wanderer betritt Mimes Schmiede mit der Intention, Mime die Möglichkeit zu geben, nach dem Schwert zu fragen. Mime will ihn jedoch möglichst schnell wieder los werden. Der Wanderer läßt sich nicht hinauskomplimentieren, sondern setzt seinen Kopf als Pfand, daß er Mime drei Fragen richtig beantworten könne. Mime will nur seine Ruhe wiederbekommen und fragt danach, welche Wesen in der Tiefe der Erde wohnen, fragt nach den Wesen auf der Erde, und danach, wer auf wolkigen Höhen wohnt. Auf die Idee, zu fragen, wie er Notung reparieren könne, kommt er nicht. Der Wanderer beantwortet alle drei Fragen richtig.
Mime denkt, er ist ihn los, doch der Wanderer stellt jetzt ihm drei Fragen, die nun seinerseits Mime beantworten muß, will er seinen Kopf behalten. Die erste Frage, nämlich welches Geschlecht Wotan am meisten liebt, obwohl er ihm Unglück zufügen mußte, kann Mime beantworten: Es sind die Wälsungen. Auch die Antwort auf die Frage nach dem Schwert, das Siegfried führen muß, um Fafner zu töten, weiß Mime: Es ist Notung. Doch bei der Frage, wer Notung neu schmieden wird, verzweifelt er: Er weiß es nicht. Der Wanderer gibt ihm die Antwort:

„Nur wer das Fürchten nie erfuhr,
schmiedet Notung neu.“

Damit hat der Wanderer Mimes Kopf gewonnen. Er läßt ihn demjenigen verfallen, „der das Fürchten nicht gelernt“. Man muß kaum erwähnen, daß an beiden Stellen, an denen von dem, der das Fürchten nicht kennt, die Rede ist, Siegfried-Motive erklingen: Das erste Mal Siegfrieds Hornruf, dann das Siegfried-/Helden-Motiv.
Nicht unzufrieden mit dem Lauf der Dinge verschwindet der Wanderer im Wald.

Mime ist außer sich vor Angst und sieht, als er es im Wald knacken hört, die Schreckensvision, daß Fafner komme, um ihn zu verschlingen. Zu dieser Vision spielt das Orchester eine gewaltige, furchteinflößende Steigerung des Drachen-Motivs.
Doch wer kommt, ist nicht der Drache, sondern Siegfried. Sofort schlägt die Stimmung der Musik um. Siegfried erwartet das fertig reparierte Schwert Notung, Mime jedoch muß sich erst fassen und nachdenken. Ihm fällt ein, wie er Siegfried zu Fafner führen kann: Er erzählt Siegfried, daß ein Held zuerst das Fürchten lernen müsse, bevor er hinaus in die Welt gehen könne. Siegfried, der mit dem Begriff „Fürchten“ nichts anfangen kann, hört neugierig zu, während Mime ihm erklärt, das Fürchten könne er bei einem Drachen lernen, der eine Tagesreise entfernt von der Schmiede sein Nest habe. Siegfried stimmt zu, daß Mime ihn dorthin führt und verlangt nun sein Schwert. Mime gesteht, daß er Notung nicht schmieden kann und meint, einer, der das Fürchten nicht kennt, könne es vielleicht.

So macht sich Siegfried ans Werk: Er zerfeilt Notungs Bruchstücke zu Eisenspäne, schmilzt sie ein und gießt den flüssigen Stahl in eine Schwertform, woraufhin er das Roh-Schwert zu schmieden beginnt.
Währenddessen macht sich Mime Gedanken darüber, wie er seinen Kopf retten könne, der ja Siegfried verfallen ist. Er kommt auf die Idee, einen Schlaftrank zu brauen, den er Siegfried nach dem Kampf gegen den Drachen verabreichen will, um ihn dann im Schlaf umzubringen.
Sofort setzt Mime seine Idee in die Tat um und braut den Trank. Dabei steigert er sich immer mehr in die Vorfreude hinein, den Ring zu besitzen und die Welt zu beherrschen:

Mime, der kühne, Mime ist König,
Fürst der Alben, Walter des Alls!

Er setzt sich auf einen Schemel und träumt von seiner Macht. Unterdessen hat Siegfried das Schwert fertiggestellt. Auf einen Schlag zerteilt er mit dem Schwert den Amboß, der krachend auseinander fällt, was wiederum Mime veranlaßt, vor Schreck von seinem Schemel zu fallen.

Der zweite Aufzug

Man befindet sich beim Nest Fafners, das sich in einer Höhle, genannt „Neidhöhle“, befindet. Es ist Nacht und das Vorspiel schildert dem Zuschauer auf plastische Art einen im Schlaf atmenden Drachen. Das Erklingen des Ring-Motivs soll vielleicht andeuten, daß Fafners Geist ganz von diesem umfangen ist, selbst im Schlaf. Die Pauken schlagen den Rhythmus des Riesen-Motivs, die wahre Gestalt Fafners aufzeigend. Nach einer Weile ertönt laut das Schwert-Motiv. Es hat den Ausdruck des Siegfried-/Helden-Motivs bekommen: Hier zeigt sich eine nahe Verwandtschaft der beiden Motive. Die Musik wird erregter. Schließlich hört man zu den mächtig Riesenmotiv-artig dröhnenden Pauken das grelle Wehe-Motiv. Das Vorspiel klingt aus mit den Drachen-Klängen. Die beste Zusammenfassung des „Rings“ würde sich vermutlich ergeben, würde man nur die Wagner'schen Vorspiele zu den einzelnen Aufzügen hören.

Es ist die Nacht vor dem Tag, an dem der Drache getötet werden wird. Alberich hat sich vor der Neidhöhle eingefunden und auch der Wanderer erscheint zum großen Ereignis: Heute wird der Ring seinen Besitzer wechseln. Alberich wird sofort aggressiv, sobald er den Wanderer erblickt, in dem er Wotan erkennt. Alberich vermutet natürlich, er wolle ihm erneut den Ring streitig machen. Er weiß um die Beschränkungen, denen Wotan unterworfen ist: Er selber darf Fafner den Ring nicht entreißen. Alberich ist, wie Mime im letzten Aufzug, ganz besessen davon, den Ring wieder in seine Gewalt zu bekommen:

Denn fass' ich ihn wieder einst in der Faust,
anders als dumme Riesen
üb' ich des Ringes Kraft:
dann zittre der Helden heiliger Hüter!
Walhalls Höhen stürm' ich mit Hellas Heer:
der Welt walte dann ich!

Doch der Wanderer versichert ihm, kein Mitkonkurrent beim Ringen um den Ring zu sein:

Deinen Sinn kenn' ich wohl;
doch sorgt er mich nicht.
Des Ringes waltet, wer ihn gewinnt.

Zum Beweis weckt der Wanderer in die Höhle hineinrufend den Drachen auf und bittet ihn, Alberich den Ring zu überlassen. Er erklärt Fafner, daß er sonst noch heute von einem herannahenden Helden getötet werden wird. Lachend nimmt der Wanderer Fafners Antwort zur Kenntnis: Fafner lehnt ab, den Ring herzugeben:

Ich lieg' und besitz',
laßt mich schlafen!

Zu den Klängen des Motivs des Werdens erläutert der Wanderer, daß Alberich nichts am Lauf der Dinge ändern kann. Daraufhin wendet er sich ab und reitet davon.
Alberich verbirgt sich hinter Felsen.

Mime und Siegfried kommen in der Morgendämmerung bei der Höhle an. Mime schildert Siegfried die Gefahren, die von einem Drachen ausgehen: Seinen Rachen, seinen Geifer und seinen Schweif. Siegfried will wissen, ob der Drache ein Herz hat und wo es ihm sitzt. Mime gibt ihm Auskunft. Er erzählt, daß morgens der Drache immer aus der Höhle zum Trinken an eine Quelle kommt. Schließlich läßt Mime Siegfried allein und versteckt sich im Wald.

Siegfried, überhaupt nicht beängstigt von Mimes Schilderung, streckt sich unter einer Linde aus. Während des Sonnenaufgangs träumt Siegfried von seinem Vater und seiner Mutter. Die idyllische, zarte und teilweise auch sehnsüchtige Musik zu dieser Szene ist bekannt unter dem Namen „Waldweben“.
Siegfrieds Aufmerksamkeit wird von einem Vogel erregt, der in den Zweigen über ihm zwitschert. Er versucht zu verstehen, wovon der Waldvogel redet, doch es mißlingt ihm. Er probiert, selbst in der Vogelsprache zu sprechen und bläst auf einem Rohr, was ihm jedoch nicht recht gelingt. Daraufhin nimmt er sein Horn und bläst darauf. Der Klang weckt Fafner, den Drachen. Böse hört man das Drachen-Motiv sich dahinwälzen, wie sich auch auf der Bühne der Drache voranwälzt. Nach einem kurzen Dialog, bei dem Fafner Siegfried höhnisch herausfordert, tötet Siegfried den Drachen. Als er sein Schwert aus der Wunde herauszieht, tropft Fafners heißes Blut auf seine Finger. Zur Kühlung leckt er das Blut von der Hand. Mit einem Mal kann er den Waldvogel verstehen, der in der Linde sitzt.
Der Waldvogel rät ihm, den Ring und den Tarnhelm aus dem Hort zu holen, ohne jedoch zu erwähnen, welchen Nutzen beide Gegenstände haben. Siegfried geht in die Höhle, um sich Ring und Tarnhelm als Andenken mitzunehmen.

Kaum ist er weg, betreten Mime und Alberich von verschiedenen Seiten die Szene. Beide ärgern sich über die Anwesenheit des anderen und beschimpfen sich. Als Siegfried aus der Höhle heraustritt, verschwindet Alberich schnell. Siegfried hält an, bevor er Mime ganz erreicht. Der Waldvogel spricht wieder: Er warnt Siegfried vor Mime, der Böses sinne, und erzählt, daß Siegfried durch den Genuß des Drachenbluts nicht nur die Vogelsprache verstehen könne, sondern auch, was Mime denkt.

Es schließt sich die vermutlich humoristischste Szene des „Rings“ an: Mime tritt vollends zu Siegfried und beginnt, Siegfried den Schlaftrank aufzuschwatzen. Doch der Zuschauer hört, was auch Siegfried hört: Das, was Mime denkt, nicht das, was er wirklich sagt. In liebevollen Worten beschreibt Mime, wie er Siegfried beim Schlafen umbringen will. Siegfried geht immer wieder auf das ein, was er hört, und Mime ärgert sich jedes Mal mehr darüber, wie er mißverstanden wird und formuliert seine Mordabsichten immer präziser, während sein Tonfall immer schmeichlerischer wird. Als er schließlich versucht, Siegfried den Trank regelrecht aufzudrängen, wird er von Siegfried in einem Anfall von Ekel erschlagen. Laut klingt das Hohnlachen Alberichs aus dem Hintergrund.

Nachdem Siegfried die Leichname Mimes und Fafners in die Höhle zum Hort gelegt hat, legt er sich zum Ausruhen unter die Linde und schildert dem Waldvöglein, wie sehr ihm ein guter Freund fehlt, da er bisher immer nur mit einem ekligen Zwerg verkehrte, den - wie er mit Schmerzen hinzufügt - er jetzt sogar töten mußte.
Der Vogel weiß Rat und erzählt Siegfried von Brünnhilde, die auf einem von Feuer umloderten Felsen schläft, und die er sich zur Frau gewinnen kann, indem er sie erweckt. Siegfried ist sofort hellwach und bittet den Vogel, ihn zu jenem Felsen zu führen, womit dieser schließlich auch beginnt.

Der dritte Aufzug

Das Vorspiel des dritten Aufzuges stellt in zweifacher Hinsicht eine Wende dar: Zum einen nahm Richard Wagner an dieser Stelle die für zwölf Jahre unterbrochene Komposition des „Ringes“ wieder auf, zum anderen wird auch inhaltlich eine Wende eingeleitet. Der Untergang der Götter steht fest. Keine Macht der Welt kann ihn verhindern, wie sich in den anschließenden zwei Szenen zeigen wird.

Die Atmosphäre ist gewittrig, es blitzt und donnert, was sich auf die Musik überträgt. Sie stellt eine Charakterisierung des Wanderers dar, der sich mit seinem unabwendbaren Schicksal auseinandersetzt.
In diesem Vorspiel sind eine Reihe von Motiven vielschichtig ineinander verwoben: Das Motiv der Erda/des Werdens, das Speer-/Vertragsmotiv, Ring-, Wehe-, Wanderer-Motiv, Ritt-/Götternot-Motiv und das Götterdämmerungsmotiv - eine Umkehrung des Motivs des Werdens. Das Götterdämmerungsmotiv wird im weiteren Verlauf immer häufiger zu hören sein, oft veknüpft mit dem zum Nornen-Motiv gewandelten Motiv des Werdens.

Die Stimmung fällt vom zornigen Gewittersturm ins Karge um. Die Szene ist eine Höhle am Fuße des Walkürenfelsens. Der Zuschauer sieht den Wanderer vor der Höhle, wie er die schlafende Erda mit einem Zauber heraufbeschwört. Von ihr will er wissen, wie er ein rollendes Rad hemmen könne. Erda schweigt dazu, und sie verweist auf Brünnhilde, die ihre und Wotans Tochter ist, gewissermaßen die Synthese aus Wotans Willen und Erdas Weisheit, doch vom Wanderer muß Erda erfahren, daß Brünnhilde Wotan trotzte und zur Strafe auf einem Felsen schlafen muß, bis ein Mann sie aufweckt. Erdas Weisheit versiegt:

Wirr wird mir, seit ich erwacht:
wild und kraus kreist die Welt!

Der Wanderer stellt ihr abermals die Frage, wie er, der Gott, den Untergang doch noch verhindern könne. Daraufhin antwortet ihm Erda nur:

Du bist - nicht, was du dich nennst!
Was kamst du, störrischer Wilder,
zu stören der Wala Schlaf?

Der Wanderer erwidert:

Du bist - nicht, was du dich wähnst!
Urmütter-Weisheit geht zu Ende:
dein Wissen verweht vor meinem Willen.
Weißt du, was Wotan will?

Er hat eingesehen, daß nichts mehr zu ändern ist. Nach langem Schweigen Erdas erläutert er ihr seinen Willen: Er selber will das Ende der Götter und setzt seine Hoffnungen für die Welt in Siegfried, der naht, um Brünnhilde zu erwecken. Er schildert Siegfried als „liebesfroh, ledig des Neides“ und daher als fähig, die Welt vom Ring (Symbol der Habgier, des Machtstrebens und der Liebesverneinung) zu erlösen.

Der Wanderer schickt die unwissende Ur-Weise wieder zurück in Schlaf.
Richard Wagner selbst gibt eine interessante Interpretation dieser Szene:

„Wotan schwingt sich bis zur tragischen Höhe auf, seinen Untergang zu wollen. Dies ist alles, was wir aus der Geschichte der Menschheit zu lernen haben: das Notwendige zu wollen und selbst zu vollbringen. Das Schöpfungswerk dieses höchsten selbstvernichtenden Willens ist der endlich gewonnene, furchtlose, liebende Mensch: Siegfried.“

Das Orchester beschwört nun die Waldweben-Stimmung vom Ende des zweiten Aktes herauf. Siegfried nähert sich dem Walkürenfelsen, der Wanderer stellt sich ihm in den Weg. Es kommt zur ersten und einzigen Begegnung der beiden Hauptgestalten des „Rings“: Siegfrieds und Wotans. Es ist zugleich der letzte Auftritt Wotans, auch in seiner Rolle als Wanderer. Siegfried fragt den Wanderer nach dem Weg, da ihm der Waldvogel davongeflogen ist. Doch der Wanderer beantwortet die Frage nicht, er stellt seinerseits Fragen, und zwar nach den Gründen für Siegfrieds Handlungsweise, um sich zu versichern, daß Siegfried wirklich frei und von ihm unbeeinflußt handelt. Zufrieden stellt der Wanderer fest, daß Siegfried von seiner Bestimmung in totaler Unkenntnis ist. Dabei entfährt ihm ein Lachen. Siegfried, so ausgefragt, ohne seine eigene Frage beantwortet zu bekommen, deutet dieses Lachen als Hohn. Ihm ist der Wanderer unbekannt, er wird frech und schimpft:

Kannst du den Weg mir weisen, so rede:
vermagst du's nicht, so halte dein Maul!

Diese Respektlosigkeit nimmt der Wanderer nicht gerade gut auf. Er beantwortet Siegfrieds Frage immer noch nicht, und Siegfried beginnt, über das Erscheinungsbild des Wanderers zu spotten und droht ihm schließlich, mit ihm so zu verfahren, wie mit Mime, falls er sich ihm weiter in den Weg stelle. Der Unmut zwischen ihnen schaukelt sich auf, der Wanderer erwartet von seinem Helden (und Enkel) mehr Achtung, doch Siegfried, gerade weil er so unwissend und naiv ist, wie er als freier Held sein muß, spottet nur. Die Szene verfinstert sich, als der Wanderer in offenen Zorn ausbricht. Im Zorn hält er Siegfried nicht für würdig, Brünnhilde zu erwecken und verbietet ihm, weiterzugehen. Siegfried läßt sich nicht beirren und der Wanderer tut nun als Abschreckung, was er im Frieden nicht tat: Er weist auf die sich jetzt vom Felsen herab ausbreitende Waberlohe und erklärt Siegfried, daß er dieses Feuer durchschreiten müsse, um zu Brünnhilde zu gelangen. Doch Siegfried jagt das Feuer keine Angst ein. Da streckt der Wanderer seinen Speer vor:

so sperre mein Speer dir den Weg!
Noch hält meine Hand der Herrschaft Haft:
das Schwert, das du schwingst,
zerschlug einst dieser Schaft:
noch einmal denn zerspring' es am ew'gen Speer!

An diesen Worten meint Siegfried den Feind seines Vaters zu erkennen, da er weiß, daß seinem Vater im letzten Kampf das Schwert zerbrach. Siegfried zieht Notung und zerschlägt dem Wanderer unter Donnerschlag den Speer. Das Speer-Motiv, bisher wuchtig in den Blechbläsern vorgetragen, hört der Zuschauer ins Nichts vergehen. Plötzlich ist es ganz still. Vom Orchester tragisch mit dem Götterdämmerungsmotiv begleitet, weicht der Wanderer zurück:

Zieh hin! Ich kann dich nicht halten!

und verschwindet. Sein letztes Aufbäumen gegen sein Schicksal ist gescheitert.

Immer mehr nun breitet sich die Waberlohe vom Felsen her aus. Siegfried durchschreitet das Feuer und kommt auf dem Gipfel des Walkürenfelsens an. Dort findet er in einem Steingemach einen schlafenden Krieger in Rüstung, wie er meint. In Wahrheit ist es Brünnhilde, die ehemalige Walküre. Er hebt ihr den Helm vom Kopf und freut sich am hervorquellenden, langen Haar. Um der Kriegerin das Atmen leichter zu machen, nimmt er ihr die Brünne ab. Erschreckt stellt Siegfried fest, daß die Schlafende kein Mann ist. Er, der noch nie eine Frau gesehen hat, bekommt es mit der Angst zu tun. Entsetzt ruft er seine Mutter um Hilfe an. Nach langem, fassungslosem Schweigen beschließt Siegfried, der so das Fürchten gelernt hat, die schlafende Frau zu erwecken, damit sie ihn wiederum von seiner Furcht befreie. Doch mit Anreden gelingt es ihm nicht, erst als er Brünnhilde küßt, erwacht sie. Brünnhilde bricht in große Freude aus, als sie feststellt, daß es Siegfried ist, der sie erweckt hat. Sie, die in die Welten-Vorgänge Eingeweihte, erklärt dem staunenden Siegfried, daß sie ihn schon vor seiner Geburt liebte. Sie erzählt weiterhin:

Was du nicht weißt,
weiß ich für dich;
doch wissend bin ich
nur - weil ich dich liebe!

Ihr selbst wird jetzt ihre Handlungsweise in der „Walküre“ klar:

Dich liebt ich immer;
denn mir allein erdünkte Wotans Gedanke.
Der Gedanke, den nie ich nennen durfte;
den ich nicht dachte, sondern nur fühlte;
für den ich focht, kämpfte und stritt;
für den ich trotzte dem, der ihn dachte;
für den ich büßte, Strafe mich band,
weil ich nicht ihn dachte und nur empfand!
Denn der Gedanke - dürftest du's lösen! -
mir war er nur Liebe zu dir!

Siegfried versteht von dem, was sie sagt, jedoch gar nichts. Stattdessen rühmt er Brünnhildes Reize. Brünnhilde wird sich plötzlich ihrer Wehrlosigkeit bewußt und fleht Siegfried an, ihre Jungfräulichkeit unberührt zu lassen. Siegfried erwidert:

Noch bist du mir die träumende Maid:
Brünnhildes Schlaf brach ich noch nicht.
Erwache, sei mir ein Weib!

In metaphernreicher Rede und Gegenrede erhitzt sich Brünnhilde schließlich und sie umarmen sich. Dabei wird Siegfried plötzlich bewußt, daß er das Fürchten - kaum gelernt - schon wieder vergessen hat. Als ihm diese Erkenntnis kommt, läßt er Brünnhilde unwillkürlich los. Nun ist es Brünnhilde, die, alles vergessend, was ihr früher etwas bedeutete, Siegfried beschwört:

Lachend muß ich dich lieben,
...
Fahr hin, Walhalls leuchtende Welt!
Zerfall in Staub deine stolze Burg!
...
Götterdämm'rung, dunkle herauf!
Nacht der Vernichtung, neble herein!

So fallen sie sich schließlich in die Arme.
Das letzte Musikdrama des „Rings“ wird bringen, was Brünnhilde um der Liebe willen in Kauf nimmt: Die Nacht der Vernichtung, die „Götterdämmerung“.

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Dirk Meyer
http://www.physcip.uni-stuttgart.de/phy11733/wagner/a_siegfr.html
1999-09-06