Ende 1997; Überarbeitung 22. März 1999
Das „Rheingold“ wurde von Wagner als „Vorabend“ zu seinem dreitägigen Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ bezeichnet. Es dient der Einführung in die Welt des „Rings“ und schildert die Vorgeschichte, die zum Verständnis der eigentlichen drei Operntage („Die Walküre“, „Siegfried“, „Götterdämmerung“) nötig ist. Das „Rheingold“ (wie auch der ganze „Ring“) spielt in mythischer Vorzeit. Die Personen, die im „Rheingold“ vorkommen, sind ausschließlich Fabelwesen aus der germanischen Mythologie: Riesen, Zwerge und Götter.
Im „Rheingold“ wendete Richard Wagner das erste Mal seine ihm eigene, neue
Kompositionstechnik an, die
heute „Leitmotivtechnik“ genannt wird. Ein Leitmotiv ist ein musikalisches
Thema, das mit einer Person, einer
Idee oder einem Gefühl verknüpft ist. Diese Leitmotive sind nicht einfach
bloß feste Melodien, die erklingen,
wenn eine bestimmte Person auftritt, sondern sie entwickeln sich
kontinuierlich, analog zur Veränderung im
Bühnengeschehen, sie verbinden sich mit anderen Motiven, oder spalten sich
auf.
Im „Rheingold“ werden viele Leitmotive des „Ringes“ eingeführt, durch
die (besonders in den späteren drei
Werken) das Orchester in die Lage versetzt wird, das Bühnengeschehen zu
kommentieren, gleich einem
allwissenden Erzähler.
Das „Rheingold“ ist gegliedert in vier Szenen, die ohne Pause gespielt werden. Die erste Szene folgt ohne Übergang auf das Vorspiel, wie auch die anderen Szenen durch kurze Orchesterzwischenspiele miteinander verbunden sind.
Das Vorspiel symbolisiert den Ursprung des Rheines, desjenigen Flusses,
der sich durch die ganze Handlung des
„Rings“ zieht. Manche Interpretationen assoziieren mit diesem Vorspiel
die Erschaffung der Welt. Das Motiv,
dessen Entstehung man im Vorspiel hört, wird später im „Ring“ als das
Motiv des Werdens wichtig.
Richard Wagner schildert die Inspiration zu diesem Vorspiel selbst, und seine
Erzählung beschreibt die Musik am
besten:
„Am Nachmittage heimkehrend, streckte ich mich todmüde auf ein hartes Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art von somnambulem Zustand, in dem ich plötzlich die Empfindung erhielt, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald im musikalischen Klange des Es-Dur-Akkordes dar, der unaufhaltsam in figurierter Brechung dahin wogte; diese Brechungen zeigten sich als melodische Figurationen von zunehmender Bewegung, nie aber veränderte sich der reine Dreiklang von Es-Dur, der durch seine Andauer dem Elemente, darin ich versank, eine unendliche Bedeutung geben zu wollen schien. Mit der Empfindung, als ob die Wogen jetzt hoch über mir dahinbrausten, erwachte ich in jähem Schreck aus meinem Halbschlaf. Sogleich erkannte ich, daß mir das Orchester-Vorspiel zum `Rheingold' aufgegangen war, wie ich es in mir herumtrug, doch aber nicht genau hatte finden können.“
Richard Wagner: „Mein Leben“; Band II
Nach diesem Vorspiel öffnet sich der Vorhang und der Zuschauer blickt auf eine Szene, die unter Wasser, in den Tiefen des Rheines spielt. Dort schwimmen die drei Rheintöchter. Man kann sie sich als Wassernixen vorstellen, die unbekümmert im Rhein herumtollen. Ihre Aufgabe ist es, das Rheingold zu bewachen. Mit dem Rheingold hat es folgende magische Bewandtnis: Wer der Liebe entsagt, kann sich daraus einen Ring schmieden, der ihm die Macht über die Welt gibt. Die Rheintöchter - drei Wesen voller Unschuld - sind recht nachlässig im Bewachen, da sie sich nicht vorstellen können, daß jemand auf Liebe verzichten und stattdessen Macht bekommen wolle.
Mitten im Spiel der Rheintöchter tritt Alberich auf. Alberich ist ein Nibelunge. Die Nibelungen sind bei Wagner Zwerge, die unter der Erde leben, und zwar sind sie häßliche, listige und eher boßhafte Wesen.
Zunächst hat Alberich nur Interesse an den lustig im Wasser schwimmenden
Rheintöchtern. Nacheinander
versucht er, jede der drei zu verführen, doch diese verspotten ihn nur.
Als ein Sonnenstrahl durch die Tiefen des Rheines dringt, leuchtet das
Rheingold hell auf. Die Rheintöchter
lassen ab von ihrem Treiben und besingen das Rheingold. Die lieblichen
Töne, die sie singen, bilden das
Rheingold-Motiv.
Der zurückgewiesene Alberich wird neugierig und befragt die Rheintöchter
nach dem Gold. Diese weihen ihn in
die Geheimnisse um das Gold ein, da sie ihn für verliebt halten und damit
für ungefährlich. Doch sie täuschen
sich: Frustriert von der ihm widerfahrenen Ablehnung verflucht Alberich die
Liebe und entreißt den
Rheintöchtern das Gold, mit dem er schnell verschwindet.
An dieser Stelle beginnt eine neue Szene und auch ein neuer Handlungsstrang. Im Orchesterzwischenspiel wandelt sich die Stimmung von der dunklen, tragischen des Endes der Rheintöchterszene zu einer wolkigen, traumhaften Atmosphäre. Zunächst beklagt das Orchester das Geschehene, indem es düster das Liebesentsagungsmotiv erklingen läßt. Es ertönt auch schemenhaft das zukünftige Ring-Motiv, um anzudeuten, daß in der Zeit zwischen den Szenen Alberich den Ring schmiedet, der ihm maßlose Macht verleihen wird. Am Schluß des Zwischenspiels baut sich mit schweren Blechbläserklängen das majestätische Walhall-Motiv auf.
Der Zuschauer wird in eine „Freie Gegend auf Bergeshöhen“ versetzt. Dort
ist soeben Wotans im Bau
befindliche Götterburg, Walhall genannt, fertig geworden.
Wotan ist der oberste der Götter, Herrscher der Welt und alles Lebendigen.
Im Laufe der Szene erfährt der Zuschauer die Vorgeschichte des Burgbaus:
Wotan hatte zwei Riesen, Fasolt und
Fafner, beauftragt, ihm eine prächtige Burg zu bauen. Riesen sind in der
germanischen Mythologie große, träge,
aber starke Gesellen, die meist nicht besonders intelligent sind.
Den Riesen hatte Wotan als Lohn Freia, die Göttin der Jugend, versprochen.
Freia ist die einzige, die weiß, wie
die magischen Äpfel der Jugend zu pflegen sind, die die Götter täglich
essen müssen, um jung zu bleiben.
Wotans Absicht war natürlich nicht, Freia wirklich an die Riesen zu vergeben.
Er vertraute bei diesem Handel
ganz auf Loge, den Halbgott des Feuers, der für seine listigen (manchmal
hinterlistigen) Ratschläge bekannt ist.
Loge sollte in der ganzen Welt nach Ersatz für Freia suchen, den die Riesen
als Lohn akzeptieren könnten.
Bislang ist Loge von dieser Suche nicht zurückgekehrt.
Auf der Bühne kann der Zuschauer jetzt sehen, wie die Riesen Fasolt und
Fafner kommen und ihren Lohn, Freia,
von Wotan einfordern. Beim Auftritt der Riesen erbebt das Orchester vom
charakteristischen Riesen-Motiv mit
seinem schwerfälligen, rohen Rhythmus.
Wotan verweigert ihnen Freia mit Worten, und als - zwar machtvoller,
aber doch auch ethisch bewußter - Gott
hindert er die anderen anwesenden Götter daran, gewalttätig zu werden.
Schließlich hat er einen Vertrag mit den
Riesen geschlossen, den er nicht einfach einseitig brechen darf.
Symbol für Wotans Verträge und Moralvorstellungen, auf denen seine Macht
basiert, ist sein Speer.
Treu berat'ner Verträge Runen
schnitt Wotan in des Speeres Schaft.
Den hielt er als Schaft der Welt.
Götterdämmerung, Nornenszene
Das Orchester stellt den Speer und die damit verbundenen Welt-Verträge
durch ein Leitmotiv dar, das an dieser Stelle erklingt.
Aus dem Dilemma hilft ihm der jetzt auftretende Loge. Er hat sich auf der Erde
umgehört, ob es etwas gebe, das
wichtiger sei als „Weibes Wonne und Wert“ (gemeint ist Freia). Dabei hat er
bei den Rheintöchtern von dem
Ring gehört, den Alberich inzwischen aus dem Rheingold geschmiedet hat. Da
er, um dies tun zu können, die
Liebe verfluchten mußte, sei der Ring wertvoller als Freia.
Loge erzählt den Riesen, daß der Besitz des Ringes grenzenlose Macht für
seinen Besitzer bedeutet. Fasolt und
Fafner sind darüber besorgt, daß Alberich durch den Ring zu viel Macht
bekommen könne, denn die Riesen und
Alberich sind schon mehrfach feindlich aneinandergeraten, wobei es den Riesen
nie gelungen ist, Alberich zu überlisten.
Darum sind sie einverstanden, den Ring statt Freia als Lohn zu bekommen. Sie
setzen den Göttern eine Frist bis
zum Abend und nehmen Freia als Pfand mit sich.
Kaum ist Freia verschwunden, beginnen die Götter schlagartig zu altern. Das
läßt sich gut in der Musik
verfolgen. Wotan erkennt die unbedingte Notwendigkeit, Freia einzulösen und
den Ring von Alberich zu rauben,
der das Gold zum Ring seinerseits geraubt hat. Die Tatsache, daß er nur
gestohlenes Gut stehle, dient Wotan zur
moralischen Legitimation, aber letztlich wird er von seinem Verlangen nach
dem Ring getrieben.
Wotan und Loge beginnen sofort die Reise nach Nibelheim, der Wohnstätte der
Nibelungen. Diese Reise wird in
einem Orchesterzwischenspiel dargestellt, in dessen Verlauf sich das
prägnante Nibelungen-Motiv bildet. Es ist
ein einprägsamer, dem Schmieden nachempfundener Rhythmus.
Im Orchester werden dazu Ambosse eingesetzt,
die man im Rhythmus des Nibelungenmotivs anschlägt.
Auf ihrer Reise nach Nibelheim sehen Wotan und Loge, wie Alberich mit dem Ring bereits die Nibelungen beherrscht: Sie müssen für ihn Gold aus unterirdischen Klüften abbauen und zu Barren schmieden. Die Nibelungen hat man im Orchesterzwischenspiel am Werk gehört.
Wotan und Loge treffen als erstes Mime, der auch ein Nibelunge wie Alberich ist. Mime ist der beste Schmied unter den Nibelungen. Er wurde von Alberich angewiesen, einen Helm auf ganz bestimmte Art zu schmieden: Es ist der Tarnhelm, der seinem Träger die Verwandlung in beliebige Gestalt und sogar die absolute Unsichtbarkeit ermöglicht. Mit dem Tarnhelm ist ein leises, unheimliches Motiv assoziiert, das grundsätzlich mit einer Pause beginnt.
Was er da schmiedete, war Mime selbst nicht genau bekannt, doch er erkannte
den Zauber, den der Helm in sich
birgt. Er versuchte, den Helm für sich zu behalten, doch Alberich kam
dahinter, benutzte den Helm, um sich
unsichtbar zu machen und verprügelte Mime zur Strafe.
Jammernd vor Schmerzen durch die Schläge finden ihn Wotan und Loge. Mime
berichtet ihnen, daß Alberich
nun einen Tarnhelm besitzt, er erzählt außerdem, wie Alberich mit Hilfe des
Ringes die Macht erlangt hat und
diese nun benutzt: Er läßt die Nibelungen einen Hort (Goldschatz) anhäufen,
durch den Alberich in der zweiten
Phase seiner Machtergreifung die ganze Welt unter seine Kontrolle bringen
will.
Als Alberich, wieder sichtbar, hinzukommt, demonstriert er seine Macht über
die Nibelungen, vom Orchester
effektvoll dargestellt. Er erklärt Wotan und Loge seine Pläne genauer:
Er gedenke, die Weltherrschaft von den
Göttern zu übernehmen und jedem Lebewesen das Lieben zu verbieten, wie auch
er der Liebe entsagen mußte.
Loge beginnt mit seiner Überlistungskunst. Er fragt, wie sich Alberich gegen
Feinde wehren wolle: Alberich
demonstriert die Macht des Tarnhelms, indem er sich in einen Drachen
verwandelt. Loge zeigt sich beeindruckt
und fragt weiter, wie sich Alberich aus möglichen Gefahren davonstehlen
wolle. Ein Drache sei zu auffällig
dafür. Alberich - im Überschwang seiner Macht - verwandelt sich in eine
kleine Kröte. Wotan setzt seinen Fuß
auf sie, Loge nimmt Alberich den Tarnhelm ab, die beiden fesseln ihn.
So nehmen sie ihn mit auf die Bergeshöhe. Auf dem Weg kommen sie wieder an
den schmiedenden Nibelungen
vorbei, wie man in der Musik hört.
Alberich muß nun den Hort herbeiholen lassen, den Tarnhelm hergeben - und schließlich auch den Ring. Erst dann läßt ihn Wotan frei. Zu den ersten Worten Alberichs in Freiheit spielt das Orchester ein Motiv, das in der „Götterdämmerung“ große Bedeutung erlangen wird: Das Haß-Motiv mit seinem „Vernichtungsrhythmus“. In Freiheit gelassen, verflucht Alberich den Ring:
Wie durch Fluch er mir geriet,
verflucht sei dieser Ring!
Gab sein Gold mir Macht ohne Maß,
nun zeug' sein Zauber Tod dem, der ihn trägt!
...
Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge,
und wer ihn nicht hat, den nage der Neid!
...
Des Ringes Herr als des Ringes Knecht:
bis in meiner Hand den geraubten wieder ich halte!
Zu diesen scharfen Worten hört der Zuschauer ein markantes Leitmotiv: Das Wehe-Motiv, das mächtig anschwillt und sich anschließend in fulminanter Weise steigert, worauf es hinabfällt in bodenlose Tragik, die Wotan, der neue Herr des Rings, allerdings noch nicht erkennt. Er wird auf schlimmere Art Opfer dieses Fluchs sein als jede andere Figur der anschließenden drei Musikdramen.
Nachdem Alberich verschwunden ist, erscheinen erneut die beiden Riesen mit
Freia. Fasolt, der etwas zarter
besaitet ist als sein Bruder Fafner, äußert, er könne nicht von Freia
lassen, solange er sie sehe: Die Götter sollen
daher den Nibelungenhort um Freia herum stapeln bis sie ganz verdeckt ist,
womit diese auch beginnen.
Dieses Motiv ist weit verbreitet in der germanischen Mythologie, Wagner hat
es aufgenommen und in seinem
Sinne umgedeutet. Als das ganze Gold des Hortes verbraucht ist, scheinen immer
noch Freias Haare hervor. Auf
sie muß Wotan den Tarnhelm setzen. Allerdings kann Fasolt noch immer durch
eine Ritze Freias Auge erblicken
und Fafner fordert, die Ritze mit dem Ring zu verdecken, den Wotan am Finger
hat.
Wotan will um nichts in der Welt den Ring hergeben. Er würde lieber Freia
bei den Riesen lassen - eine
Einstellung, die die anderen Götter sehr erzürnt. Trotzdem - Wotan will
den Ring nicht hergeben.
Da erscheint Erda, eine Art Ur-Weise, eine Göttin, die schon vor den anderen
Göttern existierte, man könnte fast sagen, sie sei die Personifikation der
Vorsilbe „Ur-“. Sie weiß als
einzige (die Nornen, Erdas Töchter, ausgenommen) um das Schicksal der Welt.
Bei ihrem Erscheinen erklingt wieder das Motiv des Werdens aus dem
Vorspiel, ins Geheimnisvolle verändert. So stellt die Musik Erdas Urweisheit
dar.
Erda warnt Wotan eindringlich davor, den Ring zu behalten:
Weiche, Wotan! Weiche!
Flieh' des Ringes Fluch!
Rettungslos dunklem Verderben
weiht dich sein Gewinn.
...
Alles was ist, endet.
Ein düst'rer Tag dämmert den Göttern:
dir rat' ich, meide den Ring!
Erda verschwindet wieder. So gewarnt, gibt Wotan den Riesen endlich auch den Ring.
Fafner beginnt sofort, den Hort in einen Sack zu packen, ohne auf Fasolt
zu achten. Der beschwert sich, will
seinen Anteil am Hort. Fafner behauptet, ein Anrecht auf den größeren Teil
zu haben. Fasolt ruft die Götter um
gerechte Teilung an. Loge rät ihm, nur auf dem Ring zu bestehen und Fafner
den Hort zu überlassen. Um den
Ring entbrennt daraufhin ein heftiger Streit. Das Haßmotiv erklingt.
Fafner erschlägt Fasolt. An dieser Stelle
erschallt das Wehe-Motiv, um anzudeuten, daß Alberichs Fluch sein
erstes Opfer gefordert hat. Auch das
Fluchmotiv ist zu hören, Wotan ist erschüttert von der Gewalt des
Ringes und nimmt sich vor, Erda aufzusuchen,
um mehr über das Schicksal der Welt zu erfahren.
Fafner wird von nun an bis zum „Siegfried“ in einer Höhle - in
Drachengestalt verwandelt - den Hort bewachen.
Begleitet von eindrucksvoll kraftvoller Musik beschwört der Gott Donner,
Herr über das Wetter, ein reinigendes
Gewitter herbei. Tosend schäumt die Musik auf. Die Unruhe legt sich wieder,
als Donners Bruder Froh unter
zaubrisch funkelnden Klängen des Orchesters eine Regenbogenbrücke zur Burg
Walhall erscheinen läßt. Nur
noch mit getrübter Freude kann Wotan Besitz von seiner Burg ergreifen, das
prophezeite Ende läßt ihn nicht
mehr los.
Majestätisch hört man das Walhall-Motiv, zeugend von der
Selbstüberschätzung der Götter. Währenddessen
erklingt vom Rhein her das Klagen der Rheintöchter um das geraubte Gold.
Es fällt der Vorhang.